Die goldenen Ähren des Dinkelkorns zieren mittlerweile unzählige Verpackungen in den Supermarktregalen – begleitet von verlockenden Gesundheitsversprechen, die das uralte Getreide als wahres Superfood anpreisen. Doch hinter den marketingträchtigen Aussagen verbirgt sich oft mehr Schein als Sein. Verbraucher zahlen deutlich höhere Preise für Dinkelprodukte, ohne zu wissen, dass viele Werbeversprechen auf wackligen Füßen stehen.
Der Mythos um das „ursprüngliche“ Getreide
Hersteller werben gerne mit der jahrtausendealten Tradition des Dinkels und suggerieren damit eine Art genetische Reinheit, die modernem Weizen überlegen sei. Diese romantisierende Darstellung verschleiert jedoch wichtige Fakten: Wissenschaftliche Untersuchungen der Universität Halle belegen eindeutig, dass alle heute angebauten Dinkelsorten sehr wahrscheinlich aus dem modernen Weizen hervorgingen. Dinkel ist ebenfalls das Resultat intensiver Züchtung.
Besonders problematisch wird es, wenn Hersteller behaupten, ihr Dinkel sei „unverändert seit der Antike“. Tatsächlich unterscheiden sich heutige Dinkelsorten erheblich von ihren historischen Vorfahren. Moderne Züchtungen zielen auf höhere Erträge und verbesserte Backeigenschaften ab – genau wie beim konventionellen Weizen auch.
Nährwert-Versprechen unter der Lupe
Ein kritischer Blick auf die Nährwerttabellen enthüllt oft ernüchternde Wahrheiten. Während Dinkel tatsächlich in einigen Bereichen punkten kann, sind die beworbenen Unterschiede zum Weizen oft marginal und werden übertrieben dargestellt.
Proteingehalt: Mehr Marketing als Mehrwert
Viele Dinkelprodukte werben mit einem „erhöhten Proteingehalt“. Agrarwissenschaftler bestätigen zwar, dass Dinkel mehr und höherwertiges Eiweiß enthält, doch Experten der Universität Halle stellen klar: Der Unterschied zu Weizen ist sehr gering und stark von der Düngung abhängig. Ein Unterschied, der in der Praxis kaum ins Gewicht fällt. Problematisch wird es, wenn Hersteller mit Formulierungen wie „proteinreich“ werben, obwohl ihre Dinkelprodukte die gesetzlichen Anforderungen für diese Auslobung gar nicht erfüllen.
Mineralstoff-Vorzüge richtig einordnen
Bei den Mineralstoffen kann Vollkorn-Dinkel tatsächlich punkten: Mit 4,2 mg Eisen pro 100g gegenüber 3,3 mg im Weizen und 130 mg Magnesium gegenüber 97 mg zeigt sich ein messbarer Vorteil. Problematisch wird es jedoch, wenn Hersteller von Dinkel-Weißmehlprodukten weiterhin mit den Vorzügen des ganzen Korns werben. Bei der Verarbeitung zu Weißmehl verschwinden diese wertvollen Inhaltsstoffe fast vollständig – eine klare Irreführung der Verbraucher.
Die gefährliche Gluten-Verwirrung
Einer der perfidesten Marketingtricks betrifft das Thema Gluten. Dinkel ist eine Weizenart und enthält dieselben Proteine inklusive Gluten. Dennoch erwecken geschickte Werbeformulierungen beim Verbraucher oft den Eindruck einer glutenfreien Alternative.
Aussagen wie „bekömmlicher als Weizen“ oder „traditionell verträglich“ sind wissenschaftlich nicht haltbar, werden aber gezielt eingesetzt, um Menschen mit Glutensensitivität oder Verdauungsproblemen anzusprechen. Lebensmittelforscher stellen unmissverständlich klar: An dem Versprechen, dass Dinkel verträglicher als Weizen ist, ist fast nichts dran.
Für Zöliakie-Betroffene können solche irreführenden Botschaften sogar gesundheitsgefährdend sein. Es herrscht ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Dinkel kein Gluten enthalte und somit bei Zöliakie verträglich sei. Das Bundesinstitut für Risikobewertung warnt explizit, dass auch Dinkel Allergien auslösen kann und der Wissenstand der Bevölkerung zu Dinkel als Weizenart bedenklich niedrig ist.

Verarbeitungstricks verschleiern die Realität
Ein weiteres Problem liegt in der Verarbeitung vieler Dinkelprodukte. Obwohl die Verpackung mit rustikalen Kornähren und Natürlichkeit wirbt, durchlaufen viele Erzeugnisse hochindustrielle Verarbeitungsprozesse.
Pseudo-Vollkorn-Produkte
Besonders tückisch sind Dinkelprodukte, die durch Farbstoffe oder zugesetzte Kleie den Anschein von Vollkornprodukten erwecken. Diese Mogelpackungen enthalten oft hauptsächlich Weißmehl, werden aber als gesunde Vollkorn-Alternative vermarktet und entsprechend teuer verkauft.
Zusatzstoff-Paradoxon
Während die Werbung Natürlichkeit und Ursprünglichkeit verspricht, enthalten viele verarbeitete Dinkelprodukte eine Vielzahl von Zusatzstoffen. Emulgatoren, Konservierungsmittel und Backtriebmittel stehen im krassen Widerspruch zu den beworbenen Naturversprechen.
Preisgestaltung: Wenn Marketing den Geldbeutel leert
Der Preisaufschlag für Dinkelprodukte liegt oft bei 50 bis 100 Prozent gegenüber vergleichbaren Weizenprodukten. Dieser Aufpreis lässt sich durch die tatsächlichen Produktionskosten nur teilweise rechtfertigen – der Rest ist reine Marketing-Marge.
Hersteller nutzen die gesundheitsbewusste Einstellung vieler Verbraucher aus und verlangen Premiumpreise für Produkte, die oft nur geringfügig von konventionellen Alternativen abweichen. Das ist besonders ärgerlich, wenn die beworbenen Gesundheitsvorteile wissenschaftlich nicht belegt sind.
Worauf Verbraucher achten sollten
Um nicht auf irreführende Werbeaussagen hereinzufallen, sollten kritische Verbraucher verschiedene Strategien anwenden:
- Zutatenliste prüfen: Steht Dinkel wirklich an erster Stelle oder verstecken sich hauptsächlich andere Getreidesorten dahinter?
- Nährwerttabellen vergleichen: Konkrete Zahlen sprechen oft eine andere Sprache als die Werbebotschaften
- Vollkorn-Anteil hinterfragen: Echte Vollkornprodukte enthalten das gesamte Korn, nicht nur zugesetzte Kleie
- Gesundheitsversprechen kritisch bewerten: Vage Formulierungen wie „bekömmlich“ oder „natürlich“ haben meist keine wissenschaftliche Grundlage
- Bei Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit: Dinkel ist genauso unverträglich wie herkömmlicher Weizen
Rechtliche Grauzonen geschickt ausgenutzt
Hersteller bewegen sich oft in rechtlichen Grauzonen, wenn sie mit den Vorzügen von Dinkel werben. Während eindeutig falsche Gesundheitsaussagen verboten sind, nutzen sie geschickt formulierte Botschaften, die beim Verbraucher falsche Eindrücke erwecken, ohne juristisch angreifbar zu sein.
Begriffe wie „traditionell“, „ursprünglich“ oder „naturbelassen“ sind rechtlich nicht geschützt und können daher beliebig verwendet werden – auch wenn sie in der Realität wenig mit dem beworbenen Produkt zu tun haben.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen: Dinkel kann durchaus seine Berechtigung als Alternative zu Weizen haben – allerdings primär aus geschmacklichen Gründen oder aufgrund persönlicher Vorlieben. Vollkorn-Dinkel liefert tatsächlich etwas mehr Mineralstoffe als Weizen. Die übertriebenen Gesundheitsversprechen und extremen Preisaufschläge sind jedoch meist nicht gerechtfertigt. Eine kritische Betrachtung der Werbeaussagen und fundiertes Wissen über die tatsächlichen Produkteigenschaften helfen dabei, informierte Kaufentscheidungen zu treffen.
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